Neue Sitte – Alte Sitte, ein Wortspiel

Das Heidentum ist alles, nur kein Monolith. Eher gleicht es einem bunten Blumenstrauß oder einer schillernden Seifenblase im Sonnenlicht, so vielfältig und breit gefächert können die Standpunkte einzelner Akteure sein… also Sichtweisen, die zugleich Flußbett ganzer Strömungen werden können.

Jahrtausende alt und doch so interpretierfähig, man wird immer wieder überrascht. Es wird nie langweilig, so viel ist sicher. Und das ist natürlich auch der Grund, warum man auf der einen Seite Zustimmung erntet und Genugtuung verspürt, während sich zugleich die andere Seite augenrollend abwendet, als wäre man ein Einsiedler aus der Sibirischen Taiga.

Also eine durchgehend gleiche Gesinnung im germanischen Heidentum? Fehlanzeige. Ohne sich in die Tiefen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung versteigen zu wollen, zeichnen sich im nichtvölkischen Spektrum ganz grob drei Hauptlinien ab:

  • Die Progressiven: Die auf den Fortschritt ausgerichteten und wissenschaftsgläubigen Modernisten, die planvollen Umgestalter bestehender Verhältnisse.
  • Die Beharrlichen: Die neue Gedanken, Ideen oder Erkenntnisse tendenziell zwar eher zulassen als die Antimodernisten, aber zugleich eine ausgeprägte Aversion gegen das ständige ausdifferenzieren, relativieren oder infrage stellen von Grundsätzlichkeiten haben, wie es die Progressiven gern tun.
  • Die Strukturkonservativen: Die ansatzweise Antimodernen, welche unverrückbar ihre in der Vergangenheit entwickelte Idealvorstellung gegen alle Kritik verteidigen und vor Veränderung schützen oder höchstens minimale Anpassungen zulassen.

Wenn man die letzten beiden Typen zusammennimmt, dann könnte man sagen, daß beide davon geprägt sind, an traditionellen Werten und überlieferten Strukturen festzuhalten. Und hier auch gleich das Stichwort: Überlieferung. Überspitzt lege ich den drei Typen mal folgendes in den Mund:

  1. Nichts, so gut wie nichts ist überliefert. Und das, was die anderen anführen, kann aus diversen Gründen nicht gelten. Besser sind die tagesaktuellen Argumente mancher Wissenschaftler, und seien sie auch noch so hyperkritisch. Immerhin läßt sich gegenüber der „modernen Gesellschaft“ mit totaler Selbstreflexion und Aufgeklärtheit punkten.
  2. Viel ist überliefert, nicht alles, aber viel. Ansonsten halte ich mich im Alltag mit meinen Überzeugungen bedeckt. Und ob die gegenwärtige wissenschaftliche Lehrmeinung meine Sichtweisen vollends deckt oder nicht, ist nicht der entscheidende Faktor. Entscheidend ist die auf Wissen, Überlieferung, Erfahrung und Empfinden basierende Gesamtheit.
  3. Alles oder so gut wie alles ist irgendwie überliefert bzw. lässt sich aus diversen Quellen ableiten, auf die eine oder andere Weise. Sachliche Kritik perlt daran ab.

Und natürlich erstaunt es dann regelmäßig wenig, daß sich manche Ansichten diametral gegenüberstehen. Das muß man einfach akzeptieren, ausdiskutieren oder gar ändern läßt sich das nicht. Schon gar nicht, wo eine Seite einen roten Apfel sieht, während die andere Seite eine grüne Birne wahrnimmt.

So ähnlich ging mir das zum Beispiel kürzlich, als ich in der Herbstausgabe der „Ringhorn“ las, der Zeitschrift des Vereins für Germanisches Heidentum, die ich abomäßig beziehe. Hier ging es um einen zur „Frith Forge Conference“ geplanten Vortrag unter dem Titel „Nȳ siðr – not forn siðr“. Nun kenne ich den tatsächlichen Inhalt des Vortrags nicht, von daher wäre es unredlich darüber zu urteilen. Eine Kurzbeschreibung liest sich aber immerhin so:

Er befasst sich damit, ob wir uns als heutige Heiden nicht zu sehr auf eine nicht wirklich dokumentierte Vergangenheit konzentrieren.

Nun, so als Frage formuliert kann ich das von meiner Seite aus glatt verneinen. Wobei ich mir aber auch nicht sicher bin, wer konkret mit „wir “ gemeint sein könnte: Der Verein, alle germanischen Heiden, alle deutschsprachigen Heiden oder alle Heiden auf der  Welt?

Nur allein hinsichtlich der altnordischen Begrifflichkeit „nýi siðr“ schrieb ich 2016 in meinem Blog:

Schaut man sich die Bezeichnung „Alte Sitte“ für die heidnische (nordgermanische) Religion an, wird man schnell merken, daß es offenbar kein primäres Anliegen der damaligen Menschen war, sich Gedanken über einen Eigennamen für die religiösen Vorstellungen zu machen, waren es doch die althergebrachten, allen bekannten und von den Ahnen überbrachten Vorstellungen. Wozu also ein Name. Im Spannungsfeld der sich neu ausbreitenden Glaubensvorstellungen bildeten sich jedoch Sprachwendungen wie „nach alter Sitte“, „altem Brauch“, „að fornum sið“ also auf „alte Art und Weise“ oder „Heiðinn siðr“ nach heidnischer Sitte, um vom Christentum (Kristinn siðr) zu unterscheiden. Die neuen Gebräuche (nýi siðr) standen im Gegensatz zum Althergebrachten (forn siðr). Daran hat sich im Grunde bis heute nichts geändert.

Somit ein ziemlich gewagter Titel, dieses „Nȳ siðr – not forn siðr“. Für meinen Geschmack zu provokativ… oder sollte ich besser progressiv sagen? Übersetzt also „Neue Sitte – nicht alte Sitte“, so kann ich diese Position nur im sogenannten „Neuheidentum“ verorten, mithin eine Selbstbeschreibung, die sich etwa aufteilt in…

Neuheidentum | Heidentum | Altheidentum

Resümee: In den kommenden Wochen werde ich alle Seiten von Asentr.eu nach dem Begriff „Neuheidentum“ durchsuchen und schlicht durch „Heidentum“ ersetzen. Im neuheidnischen, sprich im progressiven Spektrum, sehe ich eindeutig nicht meine religiöse bzw. spirituelle  Heimat. Asentr.eu sehe ich ziemlich mittig im Kreise der Beharrlichen.

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