Im Herzen Mecklenburgs, umgeben von Wäldern, liegt ein kleiner Ort namens Kritzow. Etwas verborgen in einem dieser Wälder befindet sich ein alter Waldfriedhof. Am Eingang dieser Stätte ist eine Tafel in den Stein eingelassen.
Darauf ist zu lesen:
Willkommen Wandrer,
hier an geweihter Stätte,
nach stiller Andacht
zieh gesegnet deine Bahn.
Ein christlicher Ort, keine Frage. Wenn ich dies aber außen vor lasse und diesen Ort einfach als Ort auf mich wirken lasse, kann ich leicht verstehen, warum er eine „geweihte Stätte“ genannt wird. Eine Atmosphäre, die mich tief beeindruckt. Und zusammen mit diesen Worten, diese schlichten, harmonisch aufeinander abgewogenen Worte… es spricht so viel Wahrheit aus ihnen.
Sind wir nicht irgendwie alle Wandrer, oder mehr noch: Kommen wir nicht immer als Wandrer zur heiligen Stätte? Als einsame Wandrer – wir, die auf sich selbst gestellt sind, versprengt über’s ganze Land, ohne erkennbare Ordnung da und dort verweilend?
Ja, viel Prosa, ich weiß. Als ich gestern den ersten Gedanken fasste, schwebte mir die Idee des „einsamen Wolfes“ vor Augen. Aber zugegeben, viel zu martialisch… Doch denken wir nur mal an Skaði, die allein in den verschneiten Bergen unterwegs ist. Eigentlich so wie viele der Götter, die sich zwar beizeiten in Asgard versammeln, aber doch oft genug umherwandern, teilweise zu zweit oder zu dritt, häufig jedoch allein.
Was ich damit meine ist nicht allein der Umstand, daß wir als Heiden oft allein auf weiter Flur stehen, von manch größeren Städten mal abgesehen, wo einfach mehr Menschen zusammenhocken und dementsprechend die Wahrscheinlichkeit eben höher liegt, auf Gleichgesinnte zu treffen. Es geht mir um den entscheidenden Faktor, mit dem wir allein gefordert bleiben: Die Prägung, die uns das Heidentum gibt und womit wir uns sozusagen unser eigenes Heidentum geben. Unseren eigenen Weg. Erst mit dem Eigenen, all den individuellen Elementen, die nur wir kennen und mit den wenigsten teilen, haben wir die Pforte zum Alten Pfad vollends aufgestoßen.
Man kann sich in Gruppen zusammenschließen oder es bleiben lassen. Diese individuellen Faktoren bleiben davon unberührt. Ich sage das nicht, weil ich nun ausgerechnet zu den Vereinzelten „auf weiter Flur“ gehöre, denn auch ich war mal Mitglied einer Vereinigung. Und ich kann diese Sehnsucht nach einer starken Gemeinschaft nur zu gut verstehen. Doch bergen die individuellen Faktoren, die maßgeblich für die Findung des eigenen Weges bzw. Zugangs sind, im Rahmen einer Vergemeinschaftung auch zahlreiche Probleme. Es werden Regeln geschaffen, um alles in geordnete Bahnen zu lenken. Und doch können es gerade diese formalen Strukturen sein, die ja ausgerechnet nicht in der Natur des Heidentums liegen.
Von daher kann die Alte Sitte nur eine Gemeinschaft im Geiste sein, ohne formale Strukturen. Doch was heißt eigentlich „nur“?! Man kann doch sagen, daß gerade dies die Stärke der Alten Sitte darstellt! Es gibt ja gerade nicht DIE EINE festgeschriebene Alte Sitte, das wäre der Versuch der puren Rekonstruktion. Aber dies kann es nicht sein, weil sich Bund und Treue zu den Göttern in unserem Heute manifestieren müssen. Was die Alte Sitte keineswegs „modern“ oder „neu“ macht. Die Alte Sitte ist die Alte Sitte, so wie wir sie in einem Minimalkonsens (polytheistische Götterverehrung etc.) leben. Eine ziemlich fluide Angelegenheit, wenn man mich fragt. Die Wanderer auf den verschlungenen Pfaden Yggdrasils – was wir gemeinsam haben, ist der knorrige Stamm unter unseren Füßen!
Wir, Wandrer der Alten Sitte.